Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj (45) forderte bereits seine Freilassung: Micheil Saakaschwili (55) war der Präsident, der Georgien näher an Europa brachte und die Zukunft seines Landes mit dem Westen verknüpfte. Er regierte von 2004 bis 2013.

► Der Mann, der im Kaukasus als Leuchtturm der Demokratie und Putins größter Feind galt, sitzt heute im Gefängnis. Saakaschwili sieht sich als persönlichen Gefangenen des Kreml-Tyrannen Wladimir Putin (70), auf dessen Geheiß er einsitzt.


BILD konnte exklusiv mit Micheil Saakaschwili und mit seiner Mutter Giuli Alasania (76) sprechen. Per Briefwechsel, denn nur dieser Kommunikationskanal ist möglich.

BILD: Herr Saakaschwili, Sie haben Putin scharf kritisiert. Glauben Sie, dass Sie auf seinen Befehl hin Gefangener der georgischen Regierung sind? Wenn ja, gibt es Beweise?

Micheil Saakaschwili: „Ich bin mir absolut sicher. Putin sagte, er würde mich an den Eiern aufhängen, er und Dimitri Medwedew (57, Ex-Präsident von Russland, d.R.) sprachen mehrmals darüber, dass ich dem Gericht vorgeführt werden sollte. Sie gaben meinem Nachfolger Bidzina Ivanischwili, der gegen mich angetreten ist, zwei Milliarden Dollar für dessen Wahlkampf. Die ersten Anklagen wurden eingeleitet, als ich Gouverneur von Odessa wurde und die Expansion der Russen dort stoppte. Heute ist Georgien im Besitz eines russischen Oligarchen und wird von einem mittelalterlichen Feudalherrn regiert.“

Der ukrainische Präsident Selenskyj hat gesagt, die georgische Regierung ist dabei, Sie öffentlich umzubringen. Welche Auswirkungen wird dies auf die Zukunft Georgiens haben?

Saakaschwili: „Für Selenskyj, den ich für einen modernen Churchill halte, ist dies ein wichtiges Thema. Zunächst einmal bin ich der Vorsitzende seines derzeitigen Reformrates, mein Büro in der Verwaltung des Präsidenten der Ukraine befindet sich neben seinem Büro. Durch meine Gefangenschaft sendet Putin auch ein Signal an Selenskyj: Was ihn eines Tages ebenfalls erwartet, wenn er ihm nicht gehorcht.“

Saakaschwili weiter: „Für Georgien wird meine Ermordung das Ende der georgischen Demokratie und Souveränität bedeuten (…). Manchmal denke ich, die jetzige Regierung möchte einen Bürgerkrieg anfangen. Sie denken, so können sie ihre Macht erhalten.“

Ihre Anhänger sagen, dass Sie der Privatgefangene ihres Nachfolgers Ivanischwili auf Geheiß Russlands sind. Was soll ihm Ihre Gefangenschaft bringen?


Saakaschwili: „Ivanischwili ist durch eine Nabelschnur mit Russland verbunden. Er mag das russische politische System. Gleichzeitig werfen er und seine Marionetten dem Westen vor, mich geschickt zu haben, um sie zu stürzen – was völliger Unsinn ist. Ivanischwili mag die große Welle der Sympathie für mich im Westen nicht. Außerdem übergibt er Georgien an Putin, leise und geräuschlos. Aber die Aufmerksamkeit um mich herum hat diesen Plan vereitelt.“

Saakaschwili weiter: „Sie wollen nicht, dass ich in die Ukraine zurückkehre und Selenskyj helfe. Putin sagte, er würde mich foltern und vergiften lassen. Als Reaktion auf Bidens Besuch in Kiew sagte Maria Zakharova (47, Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, Anm.d.R.) persönlich, dass meine Inhaftierung und schwierige Situation ein Sieg für Russland sei.“
„Mein Tod wird Georgien ins Chaos stürzen“

„Stirbt Saakaschwili im Gefängnis, stirbt auch die europäische Perspektive Georgiens“ – der Verfasser dieser Worte ist der polnische EU-Politiker Radoslaw Sikorski. Ist die Euro-atlantische Zukunft Georgiens davon anhängig, was mit Ihnen geschehen wird?


Saakaschwili: „Die europäische Perspektive wird nicht sterben, aber mein Tod wird tatsächlich ein großes Chaos in Georgien anrichten.“

Wie weit wird die georgische Regierung noch gehen? Kann sie riskieren, Sie sterben zu lassen?

Saakaschwili: „Als ich Kiew verließ, wog ich 120 Kilo, heute wiege ich 65 Kilo. Ich habe schreckliche Schmerzen im ganzen Körper. Ich bin komplett bettlägerig, verliere oft das Bewusstsein. Viele fragen sich, wie ich noch lebe. Denn mein Gehirn ist laut MRT-Untersuchung geschädigt. Die meisten meiner Symptome stammen von einer Schwermetallvergiftung. Kein Labor in Georgien kann das behandeln. Die polnische Regierung hat eine Klinik für meine Behandlung eingerichtet, aber ich könnte mir auch vorstellen, mich in der Charité in Berlin behandeln zu lassen, genau dort, wo Nawalny behandelt wurde.“

Was ist Ihre Botschaft an Deutschland?


Saakaschwili: „Deutschland ist für mich mit Gerechtigkeit verbunden. Ich verbrachte meinen letzten Abend in Europa im Restaurant der Frankfurter Oper mit meinen deutschen Freunden, die Abgeordnete im Bundestag sind. Hoffentlich lassen Bundeskanzler Scholz und Ministerin Baerbock nicht zu, dass ich vor aller Augen durch mittelalterliche Folter sterben werde.“

► „Generell möchte ich Bundeskanzler Scholz fragen: Halten Sie es für normal, dass es in Europa ein Land gibt, das inoffiziell von einem Oligarchen kontrolliert wird?“, so Saakaschwili weiter.
„Der Sicherheitsapparat von Georgien ist unter voller Kontrolle der Oligarchen, selbst die Staatsanwaltschaft und das Gericht – alles ist wiederum mit Russland verbunden.“
Was denken Sie, warum werden Sie nicht von der derzeitigen Präsidentin von Georgien begnadigt?
Saakaschwili: „Sie könnte zumindest die Vollstreckung des Urteils aufschieben. Ihr Argument, dass das Urteil in einigen Fällen noch nicht gefällt sei und sie mich daher nicht begnadigen könne, ist haltlos.“











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