Erfolgsautor Wladimir Kaminer über den Ukraine-Krieg und die schwierige Lage der Menschen in Russland
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer wurde in Moskau geboren. Seit 32 Jahren wohnt er in Deutschland – derzeit in Berlin. Doch Russland bleibt ein Teil von ihm. Bekannt wurde er mit seinen millionenfach verkauften Büchern „Russendisko“ und „Schönhauser Allee“, heute ist er für seine scharfe Kritik an Wladimir Putin bekannt. Der Erfolgsautor blickt kri- tisch und besorgt auf den Ukraine-Krieg. Putin sei eine internationale Bedrohung, Russland eine Gefahr für den Weltfrieden, sagt Kaminer. Das Interview mit ihm wurde in Berlin von mir für Flensburger Tageblatt (Shz.de) aufgenommen.
Wie beurteilen Sie die aktu- elle Entwicklungen in der Ukraine?
Es klingt möglicherweise zy- nisch, aber ich sehe Russland als das hauptsächliche Un- glücksland in diesem Krieg. Die Ukraine wird aus diesem Krieg viel stärker rauskom- men. Nicht umsonst glaubt dort über 80 Prozent der Be- völkerung, dass sie in zehn Jahren ein wirtschaftlich er- folgreiches EU-Land sein werden. Ich weiß nicht, wie erfolgreich wir wirklich sein werden, aber es wird sicher alles gut mit der Ukraine.
Russland ist natürlich in eine solche Lage gekommen, dass niemand sagen kann, wie dieses Land überhaupt noch zu retten ist. Es gibt überhaupt keine Zukunfts- entwürfe. Das ist eine dunk- le Zeit, eine Sackgasse für das Land. Und was die Rus- sen selbst denken, was sie glauben, interessiert zurzeit keine Sau. Glauben Sie mir, sie wissen das selbst nicht.
Putins Krieg und Aggression hat Georgien auch schon 2008 erlebt. Das hat damals keiner wahrgenommen. Mit der Ukraine ist das aber anders. Was denken Sie, können Sie sich vorstellen, dass Putin ein Nato- Land angreift?
Natürlich ist das eine Gefahr. Wenn ich mich an 2008 richtig erinnere, da hatte Georgien einen falschen Friedensverhandler, wie hieß er noch mal … Sarkozy. Er hat quasi Georgien für eine niedrige Summe verkauft. Für diese zwei Schiffe, die in russischem Auftrag gebaut werden sollten. Die hatten, glaube ich, auch für die französische Wirtschaft nicht so eine riesige Rolle gespielt. Es ging, glaube ich, um eine Milliarde oder zwei Milliarden. Es ist ein Hundertstel von dem, was heute die Amerikaner in die Ukraine pumpen, damit die Ukraine gegen die russische Armee besteht. Damals für irgendwelche Kriegsschiffe wurde einfach so ein wunderschönes Land verkauft.
Ich glaube, dass die damalige Geschichte für Putin eine Lehre war, wo er sehen konnte: Ja, dieser Westen ist tatsächlich korrupt, verdorben und hat überhaupt kein Interesse, sich für die Anderen, für die Kleinen, für diese unehelichen Kinder Europas wirklich einzusetzen. Das war eine blöde Geschichte.
Wie kann Putin gestoppt werden, beziehungsweise was kann der Westen ma- chen, um ihn zu stoppen?
Ich finde diese Fixierung auf einen Mann falsch. Da hat die Presse sehr stark daran gearbeitet, aus Putin einen Filmschurken zu ma- chen, als wären wir in einem Hollywood-Actionfilm. Er ist im Grunde genommen auch ein Opfer, also er tut mir leid. Ich sehe nicht nur meine Freunde, nicht nur was mir teuer und lieb war in diesem Land: die intellektuelle Elite, die Künstler, die Kulturschaffenden, die Philosophen, sondern ich sehe auch die blöden KGB-Männer. Die haben sich ein eigenes Grab gegraben.Der hätte eine schöne Rente genießen können, dieser Putin. Stattdessen das.
Das ist aber das Problem: Die Rettung Russlands liegt nicht in diesem Präsidentensessel. Es ist ganz egal, ob Putin oder jemand anders es sein wird. Das wird an der Tatsache nichts ändern, dass dieses Land einfach etwas sehr Wichtiges verloren hat, also einen Sinn zur Daseinsberechtigung. Die ist weg, verschwunden. So viel Hass, Misstrauen und Angst gegeneinander wie heute in der russischen Gesellschaft hat es nie gegeben.
Es gibt kaum Proteste in dem Land, viele Russen fliehen aus Russland. Was meinen Sie, sollen die am besten in dem Land bleiben und gegen die Diktatur, gegen Putin kämpfen?
Ich habe gut reden, ich sitze in Berlin, in einem freien Europa, und die stehen dort unter massivem Druck. Ich würde mir niemals anmaßen und jemandem erzählen, der soll das Regime bekämpfen. Die Leute sollen versuchen, sich aus dieser Situation zu retten und alles dafür tun, so wenig wie möglich von die- ser Kacke abzukriegen, also: nicht mitmachen. Niemand kann diese Frage richtig be- antworten, jeder tut, was er kann.
Wie verhält sich Georgien, aus Ihrer Sicht in Bezug auf die Ukraine?
Ich glaube, Georgien steht vor sehr großen Veränderungen. Ganz egal wie dieser Krieg in der Ukraine ausgeht, wird Russland da sehr geschwächt rauskommen, als angeschossener oder tödlich verletzter Bär, das weiß man heute noch nicht. Aber im Januar oder Februar wird es ein anderes Bild sein, dann wird Georgien nicht mehr in diesem Dornröschenschlaf bleiben, so wie jetzt. Das wird nicht mehr funktionieren.
Wie fühlen Sie sich als Russe?
Das ist für mich auch eine blöde Geschichte. Ich habe sehr viel über Russland geschrieben, über die Sowjetunion, über meine Heimat. Ich bin dort aufgewachsen, das ist ein Teil meiner Per- sönlichkeit, diesen Teil kann man nicht wegnehmen.
Ich war derjenige, der hier in allen Ecken erzählt hatte, wie wunderschön Russland ist, die Menschen tolle, herzensgute, kreative Europäer, und jetzt ist da die neue Situation, wo die Russen als erstes den medialen Krieg verloren haben. Alle Welt sieht die Russen als Angreifer, Aggressor, Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder. Diese Kack-Bombe, die schmutzige Bombe, die die russische Regierung gezündet hat, davon hat jeder Russe etwas abbekommen.
Putin muss in das Guinness-Buch der Rekorde eingetragen werden: Noch nie hat ein Mann in so kurzer Zeit so viel Scheiße produ- ziert wie er.